Freitag, 11. Februar 2011
Vater-und-Sohn-Tage



Die erste Buchhandlung, an die ich mich erinnern kann, war die Bücherstube Schulz in Neuß am Rhein.
Samstage waren Vater-und-Sohn-Tage, zumindest dieses eine Mal.
Wir liefen morgens zu Fuß von der Pomona in die Innenstadt. Vorbei an den Sport- und Tennisplätzen, auf denen ich mich schämte, Balljunge zu spielen und diese Aufgabe traurig den anderen überließ, obwohl mich das Fünfmarkstück als Trinkgeld lockte und auch die Nähe zu den weißen Mercedescabrios mit den roten Ledersitzen, die nach Sonne, Leder und Benzin rochen und deren noch warme Sechszylindermotoren unter den heißen Hauben tickten, wenn sie kurz zuvor erst abgestellt worden waren.
Unter der Eisenbahnbrücke liefen wir hindurch, wo sich ein junger Mann aus der Siedlung auf die Gleise gelegt hatte – die Züge hörte ich beim Einschlafen oft durch die Nacht rattern, und den Nachbarssohn stellte ich mir im Tennisdress und im Cabrio seiner Eltern vor.
Wir passierten meine Grundschule, wo Frau Dr. Becker kurz vor ihrer Pensionierung meinen Mitschüler Thomas beim Vorbeten minutenlang immer wieder mit ihren Schlägen auf seinen Hinterkopf zum Nicken und Heulen brachte, weil er das Vaterunser nur so stotternd wie alles andere hervorbrachte – er trug eine kurze Lederhose, Bundschuhe, einen grauen Strickjanker mit silbernen Knöpfen und kurz geschorene Haare, die Lehrerin einen Dutt und ein schwarzes Gewand.
Wir gingen vorbei am Mädchengymnasium, auf dem meine Schwester Latein und Cellospielen lernte – anlässlich eines Schülerkonzerts durfte ich ein einziges Mal diese Mädchenschule von innen betrachten.
Dann folgten wir einer Straße, die für mich damals bedeutungslos war und ohne Erinnerung an irgendwelche Ereignisse oder Menschen blieb.
Bis ich mit meinem Sohn vor zwei Jahren einen Ausflug nach Neuss machte und mit ihm meinen Vater-und-Sohn-Weg zurücklegte. Mein Sohn sprang vor mir her oder hinter mir drein, kasperte, bummelte oder umschwirrte mich, während ich erzählend nach dem Faden suchte, der mich als Sohn meines Vaters und als Vater mit meinem Sohn verband. Jetzt, ins Nachhinein betrachtet, glaube ich einen Knoten zu entdecken: Ich plapperte, wohingegen mein Vater in meiner Erinnerung damals meistens geschwiegen hatte. Was mich im Vatersein mit meinem Vater aber verband: Beide waren wir in unserer eigenen Hilflosigkeit, eine erwachsene Bindung zum Kindsein herzustellen, den Kaspereien des Sohnes scheinbar ausgeliefert.

Mein Vater und ich, wir kamen schließlich vor dem kleinen Briefmarken- und Münzengeschäft zu stehen. Beide hatten wir ein Münzalbum, und ab und zu bekamen wir zum Geburtstag oder zu Weihnachten von den Verwandten eine besondere Münze geschenkt. Die Johann-Gottlieb-Fichte-Gedenkmünze von 1964 beobachteten wir über einen längeren Zeitraum; mein Vater hätte sie gern gekauft, weil er vermutete, dass „der Fichte“, der bald schon bei 90,- DM stand, weiter an Wert gewinnen würde. Er hatte recht, heute bekommt man für ein gut erhaltenes Stück dieser Sonderprägung gut 160,- Euro.
Ein weiteres Ziel meines Vaters war aber die Buchhandlung am Marktplatz, wo er sich gern mit der Inhaberin, Fräulein Schulz über neu erschienene Bücher und Autoren unterhielt und sich nach den Verkäufen seines eigenen kleinen Romans, „Der Judengaul“ erkundigte. Dieser Kurzroman, an dem er über zehn Jahre geschrieben hatte, erschien 1969. Die Veröffentlichung des Buches hatte mein Vater selbst finanziert, weil sich kein großer Verlag fand, der es herausgeben wollte, angeblich weil die Verlagshäuser zunächst einen umfangreicheren Roman von ihm forderten, den er aber bis an sein Lebensende nicht schreiben konnte.
Häufig muss mein Vater dort oder in einer anderen Buchhandlung Bücher gekauft haben, ich kann mich aber an keines erinnern. In der uns Kindern hinterlassenen Bibliothek entdeckte ich später viele Erstausgaben von Celan, Enzensberger, Walser, Grass, die alle Mitte bis Ende der Sechzigerjahre erschienen waren.

Mein Sohn und ich landeten schließlich in einer Eisdiele, neben der Buchhandlung, die es mittlerweile gar nicht mehr gab. Ich glaube, dass uns die gemeinsame Gegenwart schließlich Ereignis genug wurde, als ich mit meinen Vorträgen aufhörte und meinen doppelten Espresso trank, während mein Sohn sein Eis verspeiste und wir uns gegenseitig fotografierten; spätestens aber, als wir Neuss verließen, um uns ins Leverkusener Fußballstadion zu einem spannenden Bundesligaspiel zu begeben - mein Sohn wird heute noch wissen, wer gegen wen gewonnen hat.
Vorher kehrten wir aber doch noch in ein altes Bier- und Speiselokal ein, und ich aß zu Mittag. Hier hatte ich mit meinem Vater manchmal samstags gesessen, bei Röggelchen, Blutwurst, Altbier und Limo. Mein Sohn begnügte sich jetzt mit einem Getränk, das Eis hatte ihn offenbar sattgemacht.
Als wir das Lokal verließen, war es kühl geworden. Mein Sohn trug wie am liebsten keine Jacke, und ihm war gar nicht kalt. Ich gab mich besorgt und schlug vor, ihm ein Sweatshirt zu kaufen. Er fragte, warum; er verstand mich noch nicht. „Damit du nicht frierst und weil ich dir gern etwas kaufen möchte.“ Für 20,- Euro fanden wir ein Sweatshirt mit Kapuze, das ihm gefiel.

Einmal kaufte mein Vater mir ein Buch in der Buchhandlung: „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“ von Boy Lornsen. Ein großes Erlebnis für den kleinen Sohn, und in meiner Erinnerung einzigartig. Ich sehe mich im Wohnzimmer sitzen, auf einem der schwarzen Drehsessel, das Buch voller Stolz auf den Knien. Dieses Bild von mir, wie ich da sitze und lese, erinnere ich so, als hätte ich mich damals selbst fotografiert. Habe ich das Buch je ganz gelesen?
Für 12,- Euro habe ich es heute bestellt.

http://www.myspace.com/joergerb/music/songs/Sternsteinstaub-live-67588486

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Donnerstag, 10. Februar 2011
"Fluss ohne Ufer"



Der Fluss weiß weder von Einfluss noch sucht er sich sein Bett; er schläft nie und will immer zum Meer, solange du ihn fließen lässt.
Versuch ihn ruhig anzuschieben; er nimmt dich auch treibend auf. Nimm das stark an.
Versuch ihn nicht aufzuhalten; er wird dich übergehen. Oder, wenn du Glück hast, reißt er dich mit, wenn du gerade alleine bist und nicht damit rechnest.
Lass dich von Zeit zu Zeit ans Land spülen, damit du siehst, wer sich außer dir noch auf ihm treiben lässt.

Den Fluss ohne Ufer, den gab es nicht. Bis einer kam, der ihn beschrieb.

Ich war Buchhändler und hatte nie vorher von Hans Henny Jahnn gehört, bis ich im Rotlind-Café in Frankfurt am Nebentisch einem jungen Mann einfach lauschen musste, der von "Fluss ohne Ufer" seinem Gegenüber erzählte, als sei er diesem Fluss gerade selbst entstiegen.
Kurze Zeit später kam Günter Lemke, der HoCa-Vertreter mit der Ankündigung der Werkausgabe im Gepäck in unseren Buchladen in Hanau. Die Hamburger Ausgabe in Einzelbänden, in Leinen und im Schuber, bestellte ich sofort zur Fortsetzung und bekam darüber vermutlich Krach mit Dieter, meinem Compagnon oder gleich mit dem ganzen Kollektiv, das keines war. Kein Mensch fragte danach, nicht mal als die Bücher im Laden bereits Staub gefangen hatten. Ich kaufte sie schließlich selbst und besaß sie zunächst glücklich.
Nach drei Bänden ging mir aber das Geld oder die Lust aus. Vielleicht war ich auch der ständigen Diskussionen mit Dieter überdrüssig geworden, der immer ein besserer Kaufmann war als ich. Im Zweifel war ich lieber das Buch, er der Händler.
Später kaufte ich mir nur wegen des Titels oder aus altem Trotz "Jeden ereilt es". "Fluss ohne Ufer", die Trilogie, besitze ich bis heute nicht.
Heute Morgen erfuhr ich im sozialen Netzwerk, dass Heinz Rudolf Kunze doch nicht, wie irrtümlich angenommen, über Jahnn promoviert hat, dafür aber Dr. Manfred Maurenbrecher. Dessen wunderbares "So,so..." als Kommentar zu dem sympathischen Irrtum, der ein von Maurenbrecher gepostetes Bild nebst Hinweis auf diesen "tollsten Text, den ich kenne" kommentieren wollte, in dem aber der Doktortitel baden ging, bringt mich dem Fluss nun wieder nah.
Jetzt kommt es auf die Geburtstagsliste, als eins der wichtigsten Bücher, von denen ich bis heute lediglich eine wundersame Ahnung habe.
Mal schauen, bis Mai fließt noch viel Wasser die Bille, die Elbe und den Rhein Richtung Meer - bis dahin mag ich's am liebsten vergessen haben.

http://www.perlentaucher.de/buch/13817.html

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"Das Gepäck bestimmt die Gangart"



Wenn sich einer vermeintlich umständlich ausdrückt, hat er sich vielleicht nur einfach eines schwerwiegenden Details seiner Umstände und ihrer noch unpersönlichen Verhältnisse angenommen; der steht womöglich gern vorübergehend still und lauscht, bis eine Meinung wortreich im Boden der Tatsachen versickert, die Freund, Feind & Co. bislang noch im Weg gestanden war. Gelassen kann wenigstens einer so weitergehen – und sei es nur durchs Alphabeet. Das kann – je nach Standpunkt – zu wenig, mag aber auch viel gewesen sein. Ich persönlich mag daran glauben, dass er es liebend gern beschrieb.

„Das Gepäck bestimmt die Gangart“ (Jan Erik Vold)

Das virtuelle Archiv wies eine Lücke auf. Volds schöner Satz ließ sich auf die Schnelle im Netz nicht finden. Das mag ich ändern; so sei es.

http://www.waldgut.ch/e35/e696/e908/

http://www.myspace.com/joergerb/music/songs/14-Vielleicht-foolsgarden-mp3-73263303

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Mittwoch, 9. Februar 2011
Autoren gesucht
Jörg Erb sucht Autoren für eine Anthologie: "Deutschland schafft an". Ein Kapitel schreibe ich selber: "Wie sich Kerner die Putenbrust vergrößern lässt".


http://www.facebook.com/l.php?u=http%3A%2F%2Fwww.wuv.de%2Fnachrichten%2Funternehmen%2Fgut_drauf_pausenbrot_gutfried_und_kerner_starten_schulaktion&h=6f12a

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Treppe


Selbständig warf ich die Tür hinter mir zu, um

selber an deinem Fenster vorüberzugehen.

Selbst hier kann ich jetzt bei dir sein.

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