Montag, 7. März 2011
Bertha & Simon Hecht, St. Louis

Bertha & Simon Hecht, vermutlich in St. Louis



Das Grab Simon Hechts und seiner Frau in St. Louis

Heute Abend bekomme ich einen Anruf. Am Telefon ist Herr Wolff, der Großneffe Simon Hechts. Er weiß über seinen Großonkel und dessen Haus sowie den Verbleib anderer ehemaliger St. Goarshausener Juden mehr als die zwei Stadtarchivare mir erzählten und ich durch die Recherche im Internet herausbekommen und mir zusammenreimen konnte.
In vielem habe ich mich geirrt beziehungsweise nicht wahrheitsgemäß recherchieren können; die Quellen, die ich im Netz fand und nutzte, sind offensichtlich ungenau.
Herr Wolff schickt mir ein Bild der Grabstätte Simon Hechts und seiner Frau;ein zweites und drittes Bild erreicht mich jetzt, während ich dies aufschreibe.
Wir verabreden uns für Anfang Mai; bis ich mit seiner Hilfe weitere genaue Details der Geschichte zusammentragen kann, lasse ich die mir freundlicherweise zur Veröffentlichung überlassenen Bilder sprechen. Sie zeigen das Haus Simon Hechts vermutlich in den Dreißigerjahren und das Ehepaar Bertha & Simon Hecht vermutlich in St. Louis.

Dies ist also der vorläufig dritte Teil der Geschichte des Simon-Hecht-Hauses.
Teil 1: Rheinsteigwanderer, kommst du an die Loreley (Themen: Reiseführer - 25.01.2011) http://joergerb.blogger.de/stories/1764874/

Teil 2: St. Goarshausen, Rheinsteig - Nachtrag (Themen: Reiseführer - 14.02.2001) http://joergerb.blogger.de/?day=20110214


Simon Hechts Haus in der Bahnhofstr. 33
Rückwärtige Ansicht vom Rhein aus

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Montag, 14. Februar 2011
St. Goarshausen, Rheinsteig - Nachtrag

I.M. Simon und Arthur Hecht

Nachtrag zu "Rheinsteigwanderer..." vom 25.01.2011:

Im fernen Hamburg kann ich nun den Wahrheitsgehalt via Internet überprüfen: Die zwei Stadtarchivare und also auch ich sind leider noch schlechter informiert gewesen als ich annehmen musste, deshalb hier eine Richtigstellung.

Zur Geschichte der Synagoge:

Nach 1820 wurde im Haus des damals zugezogenen Süßel Binge eine Betstube eingerichtet. Auch die jüdischen Familien in Wellmich richteten damals eine Betstube ein. Seitdem wurde abwechselnd an den beiden Orten der Gottesdienst abgehalten. 1840 wurde der Betsaal im Haus des Simon Hecht in der Bahnhofstraße 33 eingerichtet.

1863 wurde der Plan durchdacht, eine Synagoge in Sankt Goarshausen für die hier und in Bornich, Wellmich und Weyer lebenden Juden einzurichten. Der Plan scheiterte jedoch an den nicht ausreichenden finanziellen Mitteln. Die Betstube in der Bahnhofstraße wurde weiterhin benutzt: am 21. November 1937 wurde letztmals gemeinsam am Schabbat Gottesdienst abgehalten. Danach wurde das Gebäude wohl zwangsweise verkauft. Es wurde zum "Adolf-Hitler-Haus" der NSDAP Kreisleitung umgebaut und am 19. Juni 1938 als solches eingeweiht.

Das Gebäude ist als Wohnhaus erhalten.
Adresse/Standort der Synagoge: Bahnhofstraße 33.

Simon Hecht ist also wohl der Erbauer des Hauses in der Bahnhofstraße gewesen.

Der Verkauf des Hauses ist möglicherweise Arthur Hecht abverlangt worden. Der aber ist keinesfalls nach Amerika ausgewandert. Seinen Namen und Daten zu seinem Verbleib fand ich neben den Daten anderer jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürgern ebenfalls im Internet.
Zur Erinnerung: Man hatte mir die Auskunft erteilt, alle jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger hätten "damals rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannt" und seien "nach Amerika ausgewandert".
Im Folgenden nun die Namen derer, die es nachweislich nicht nach Amerika geschafft haben.

Bürger aus St. Goarshausen, die Verfolgung, Deportation und Vernichtung nicht überlebt haben:

Arthur Hecht
* 01. September 1892 in Sankt Goarshausen
Inhaftierung: Buchenwald, Konzentrationslager
Todesdatum/-ort: 24. Dezember 1938, Buchenwald, Konzentrationslager

Leo Hirsch
* 21. April 1889 in Sankt Goarshausen
wohnhaft in Köln
Deportation: ab Köln
30. Oktober 1941, Litzmannstadt (Lodz), Ghetto
1942, Kulmhof (Chelmno), Vernichtungslager
Todesdatum/-ort: 13. September 1942, Kulmhof (Chelmno), Vernichtungslager

Blanka Lion
* 24. Juni 1906 in Sankt Goarshausen
wohnhaft in Mannheim
Deportation: ab Baden - Pfalz - Saarland
22. Oktober 1940, Gurs, Internierungslager
Todesdatum/-ort: 30. September 1942, Auschwitz, Vernichtungslager

Johanna Mayer
* 01. Mai 1874 in Sankt Goarshausen
wohnhaft in Köln
Deportation: ab Trier - Köln
27. Juli 1942, Theresienstadt, Ghetto
19. September 1942, Treblinka, Vernichtungslager

Lina Mayer
* 17. April 1869 in Sankt Goarshausen
wohnhaft in Sankt Goar
Deportation: ab Trier - Köln
27. Juli 1942, Theresienstadt, Ghetto
19. September 1942, Treblinka, Vernichtungslager

Jakob Meyer
* 03. Juli 1863 in Sankt Goarshausen
wohnhaft in Linz a. Rhein
Deportation: ab Trier - Köln
27. Juli 1942, Theresienstadt, Ghetto
Todesdatum/-ort: 20. Dezember 1942, Theresienstadt, Ghetto

Selma Wolff geb. Hecht
* 04. April 1883 in Sankt Goarshausen
wohnhaft in Mainz
Deportation: ab Mainz - Darmstadt
25. März 1942, Piaski, Ghetto

Quellen: http://www.alemannia-judaica.de/st_goarshausen_synagoge.htm

http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/directory.html?id=995121&submit=1&page=1&maxview=50&offset=0

(Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945")

Jörg Erb, Werkstatt für Poetisches Handeln:
Kleine Ausstellung "St. Goarshausen"

http://joergerb-shop.fineartprint.de/index.php?PHPSESSID=b6ad51ff1ef1c87f8931a004f8ecc326&page=bildagentur.php&id=sis&sis_cat=24916

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Sonntag, 13. Februar 2011
Im Vorübergehen



Mit offenen Sinnen, nicht rückwärts gewandt im Augenblick.

Und dann – selber noch in der Bewegung – anhalten, mit ruhigerem Atmen beikommen der seltsam eigen gewordenen Ausschreitung, die im Vorübergehen erst wirklich hilfreich und zulässig wird.
Nur ohne dagegen einzuschreiten, gehst du dir selbst nicht mehr fremd.
Das geht vorbei.

Dann kannst du auch rückwärts gehen, die Fäden verknüpfen mit verbundenen Augen.

http://www.nachtausgabe.de/homepage/Absinth_Bar_Hamburg

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Dienstag, 25. Januar 2011
Rheinsteigwanderer, kommst du an die Loreley





Dieses Haus sucht einen anderen Namen.

Wenn du einmal Urlaub machst, wo andere leben, frag die Leute, die in diesem Haus wohnen und arbeiten, welchen Namen es trägt, seit 1937. Lass sie ihn aussprechen, diesen falschen Namen.
Und zeig ihnen das Bild, das du hier entdeckt hast; führ ihnen diese Fratze vor, mit der dieses Haus auf den Rhein starren muss, so lange schon.

Frag sie, ob sie eine Idee haben, warum das Haus diese Fratze zeigt. Frag sie, ob sie es ertrügen, wenn sie selbst ein solches Gesicht tragen müssten.
Und frag, ob sie eine Idee haben, wie das Haus einen anderen Namen finden könnte, einen Namen, der dem Haus und den Menschen, die dort täglich ein und aus gehen, gerecht werden kann. Einen Namen, der an die Menschen erinnert, die hier lebten und sich versammelten, einen Vater, eine Mutter oder Oma und Opa entfernt.

Frag nach, ob sie wissen, was eine Synagoge ist. Frag nach, ob sie wissen, wo hier in der Nähe Synagogen waren. Frag sie, ob sie wissen, wer dieses Haus, von dem ihr sprecht, einmal hat bauen lassen.

Frag sie, welches Gefühl deine Frage bei ihnen ausgelöst hat und erzähl ihnen, ob es dir leicht oder schwer gefallen ist, deine Fragen zu stellen.
Stell deine Fragen so freundlich wie du kannst.

Frag sie, ob sie gern leben und ob sie sich lebendig fühlen. Frag sie, ob sie einschätzen können, wann ein Mensch sich lebendiger fühlt – mit vielen verschiedenen oder mit ganz wenigen Gefühlen. Frag sie, wann sie das letzte Mal geweint haben. Wenn sie dir nicht antworten können, frag sie, seit wann hier in Deutschland, in Rheinland-Pfalz, am Mittelrhein, an der Loreley, in St. Goarshausen Indianer leben. Sag ihnen, du hättest nicht gewusst, dass Winnetou wirklich und immer noch lebt; richte ihm auch einen Gruß aus von mir. Man kann ja nicht alles wissen, das ist nur zu menschlich.

Je nach dem, wie freundlich man dir begegnet – oft stößt der Freundliche auf einen Fremden, dem der Freundliche ganz befremdlich erscheint –, lass dich eine Weile nieder. Vielleicht magst du etwas trinken und essen und auch dort, wo man dir reinen Rheinwein einschenken will, einmal nachfragen.

Frag dann, ob sie wissen, wer Simon Hecht war. Frag sie, ob sie wissen, wo dieser Simon Hecht gewohnt hat. Frag sie, ob sie hier gern zuhause sind. Und frag sie, ob sie Herrn Hecht einmal in Amerika besucht haben. Frag sie nach seinen Kindern, Enkeln, Urenkeln. Frag, ob Herr Hecht ihnen vielleicht einmal eine Ansichtskarte geschickt hat, auf der er seine Ansicht zu den Zeichen der Zeit von 1937 dargelegt hat. Sag ihnen, ich hätte dir erzählt, in der Stadt sei behauptet worden, er habe die Zeichen der Zeit erkannt; deshalb sei er nach Amerika ausgewandert. Frag, ob jemand Herrn Hecht nachfahren wollte. Frag, warum die anderen geblieben sind; hatten die die Zeichen der Zeit nicht erkennen können? Frag, ob sie eine Idee haben, warum Herr Hecht wohl klüger war.

Je nach dem, wie es dir ergeht mit dem Fragen, und welche Antworten du bekommst, vielleicht findest du ein Häuschen, was dir gefällt, in dem du dir vorstellen kannst, dauerhaft zu leben.

Biete dann an, es zu kaufen. Biete ihnen, sagen wir: 5.000,- Euro an; so viel kostet eine sehr luxuriöse Schiffsreise nach Amerika, mit allem Schnickschnack, den man sich nur wünschen kann.

Wenn man nicht auf dein Angebot eingehen will, sprich von den Zeichen der Zeit und verhandle nicht.
Sag ihnen, überall täten sich jetzt Menschen zusammen, die anderes wollten. Menschen, die neugierig, wach und lebhaft lieber Fragen nachgehen als falsche Antworten zu verwalten. Menschen, die sich zuhause fühlen wollen, die da leben wollen, wo sie bislang nur leben mussten. Hier, wo andere Urlaub machen. Hier, wo damals Väter und Mütter, Opas und Omas, Onkels und Tanten von Kindern schwarzweißen Urlaub machen mussten, weil der, dessen Name das Haus gegenüber vom Bahnhof so lange schon tragen muss, tatsächlich glaubte, dass das eine Freude war, und dass daraus Kraft entstünde.
Wie gesagt, verhandle nicht. Sag ihnen aber, dass 5.000,- Euro noch zu viel sein könnten, wenn irgendwann keiner mehr kommt, weil niemand mehr fragt und keiner mehr weiß.

Sag ihnen, dass damals das Fragen verboten war. Frag sie, warum sie heute nicht fragen.

Sag ihnen, ich sei fortgezogen, wie so viele vor mir.

Sag ihnen, ich sei immer noch traurig. Sag ihnen, ich sei immer noch wütend. Sag ihnen, ich würde mich immer noch schämen. Sag ihnen, ich hätte immer noch Angst, bei gelegentlichen Besuchen in das Gesicht dieser Stadt blicken zu müssen.
Sag ihnen, ich würde mich freuen, wenn sie mich eines Tages einladen würden, weil sie den Namen endlich gefunden haben.

Und sag ihnen von mir, ich mochte die verwalteten Antworten nicht mehr verkraften.

Jörg Erb, Werkstatt für Poetisches Handeln:
Kleine Ausstellung "ST. Goarshausen"

http://joergerb-shop.fineartprint.de/index.php?PHPSESSID=b6ad51ff1ef1c87f8931a004f8ecc326&page=bildagentur.php&id=sis&sis_cat=24916

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