Montag, 30. Juli 2012
"Being dylaned"


"Ein Kleid auf der Leine zum Trocknen gehängt, der Himmel an die schwärzesten Wolken verschenkt. Die Fenster weit offen, eine Tür schlägt im Wind, keiner kann bleiben, wo keine mehr sind."

Ich weiß wirklich nicht, woher das kommt; ich weiß keinen wirklichen Ort, mit dem diese Zeilen in meiner persönlichen Erinnerung verbunden wären. Und doch war ich da, an diesem Ort.
Ich könnte die Zeit, aus der stammt, was ich da aufgeschrieben habe, nicht genau bestimmen. Aber ich glaube, es ist lange her und längst nicht vorbei. Bilder, die mir diese Geschichte illustrieren, sind ausnahmslos schwarzweiß.

Im besten Falle weiß ich nichts. Wenn ich einen Song schreibe, habe ich aber eine Ahnung, als warte da etwas auf mich, das noch keiner entdeckt hat – Bilder, Worte, Töne, die merkwürdig zueinander finden wollen und mir, der dann nur noch den unbekannten Stimmen lauschen kann, bis diese gar nicht mehr fremd, sondern endlich vertraut klingen, mehr verraten als eine Geschichte, die nur in Fakten und Daten überliefert ist.

Wenn ich Glück habe, komme ich irgendwann an einen Punkt, an dem ich mich in der Geschichte verlaufe, die mich so nachhaltig beschäftigt, dass ich die Gitarre nur aus der Hand lege, um mit leeren Händen nach einem Pinsel zu greifen. Vielleicht malen mir Pinsel und Farben aus, wie diese Geschichte zu Ende erzählt werden muss?

Einmal, im November 1995, ich stand auf dem Bahnsteig in Mainz und wartete auf meinen Zug, der mich nach Freiburg bringen sollte, meldete sich zu einer mir seit Jahren vertrauten Musik ein Text, den ich, nachdem ich im Zugrestaurant Platz genommen hatte, fieberhaft aufschrieb. Diese Zeilen verschwanden jedoch schon bald in meiner Schreibtischschublade. Sie blieben dort so lange liegen, bis sie mir zehn Jahre später plötzlich wieder einfielen. Diese Zeilen verraten mir zumindest den Zeitpunkt des Geschehens, das dieser Song mir beschreiben wollte.

"Mein Herr, mein Herr, war das gestern oder heute,
wer sind all die Leute, die vor meinem Fenster stehen, mein Herr? Sagen Sie, wen Sie dort sehen, mein Herr!

Mein Herr, mein Herr, hören Sie die Schritte,
sind das Stiefeltritte? Sagen Sie, was Sie dort sehen, mein Herr!
Warum bleiben Sie nicht stehen, mein Herr?

Ich kann weithin Stimmen hören, doch ich sehe kein Gesicht,
und die Stimmen werden lauter, doch verstehen kann ich sie nicht. Durch die Fenster fliegt ein Stein, und ich rieche schon den Rauch, und der Stein bleibt nicht alleine, und ich höre Schreie auch.

Mein Herr, mein Herr, hören Sie das Splittern,
spüren Sie nicht mein Zittern? Sagen Sie, wo sind Sie denn, mein Herr? Sagen Sie, wer sind Sie denn, mein Herr?

Mein Herr, mein Herr, wenn ich Sie nur fände,
bitte machen Sie ein Ende! Folgen Sie den Schritten nicht, mein Herr! Hören Sie mein Bitten nicht, mein Herr?"




Kein Song kommt von alleine. Und jedes neue Lied bringt irgendetwas mit, das übriggeblieben ist.
Wer solchen Geschichten aufmerksam zuhört, um von ihnen etwas zu erfahren, das er sich nicht erklären kann, ist nicht selten unterwegs zum nächsten Song, auch wenn er selbst auf der Stelle zu treten scheint und die neue Strophe noch nicht zu erreichen ist.

"Meine Stadt liegt tief im Nebel,
ich komm nicht mehr raus,
halt die Hand schon auf der Klinke,
dies ist nicht mein Haus."

Am 3. Februar 2010 – Bob Dylan gab an diesem Tag übrigens keins seiner rund 100 Konzerte, die er im Schnitt pro Jahr spielt, so verraten Archive – wurde Giacomettis „L’Homme qui marche“ bei Sotheby’s für 74,4 Millionen Euro versteigert – der höchste Betrag, zu dem je ein Kunstwerk auf einer öffentlichen Auktion den Besitzer wechselte.
Giacometti schuf seine mannsgroße Bronzeskulptur im Jahr 1960, sie hat sozusagen zu ihrem 70. Geburtstag erneut den Besitzer gewechselt. Die meiste Zeit ihres Daseins stand diese Figur jedoch unbewegt auf der Stelle.

„I know, it looks like I’m moving, but I’m standing still.“

1960 verließ irgendwo in der amerikanischen Provinz ein junger Mann sein Elternhaus – so wie vielleicht 17 weitere an diesem Tag. Sein Name: Robert Allen Zimmerman, das zumindest stand in seinem Pass, so glaubt man bis heute zu wissen. Sein Ziel, wenn es auch ursprünglich ein ganz anderes war: Die nächst größere Universitätsstadt, wo er sich fürs Studium einschrieb. Lange sollte er dort nicht bleiben; er spielte lieber auf seiner Gitarre und hörte Musik, so oft und so lange es irgend ging. Er war zumindest seiner Heimatstadt Hibbing endlich entkommen. Er hinterließ Bruder, Vater und Mutter. Und mit seinem Namen ließ er auch eine scheinbare Identität hinter sich, die sich mit nichts, was er in sich spürte, ausfüllen ließ.

„Ain’t talkin’, just walkin’.“

Knapp 100 Jahre zuvor glänzte ein junger Franzose in Charleville-Mézieres nahe der französisch-belgischen Grenze mit seinen schulischen Leistungen. Die Mutter, so sagt man, sei stolz gewesen auf ihren Arthur, der sich selbst 1871 als „siebenjährigen Dichter“ bezeichnete. Zumindest in der Retrospektive des Siebzehnjährigen erscheint das als eine frühe Auflehnung gegen die alleinige Gewalt der Mutter über den Sohn, nachdem Arthurs Vater sich aus dem Staub gemacht hatte und seine Ehefrau sich fortan verhielt als sei sie verwitwet.
Ein Foto zeigt den Achtjährigen, der zur Heiligen Kommunion aus scheinbar stahlblauen Augen finster die Linse der Kamera aufs Korn nimmt – gestochen scharf sein Blick, als dränge eine Wut aus ihm heraus, für die er seinen mickrigen Körper verantwortlich macht, der allzu langsam wachsen will – gefangen als Mutters eigenes Fleisch und Blut. Aber irgendwann, das verrät diese Wut mir auf dem Foto bereits, irgendwann will er diesem Gefängnis entkommen, und sei es zu Fuß und ohne einen Sous in der Tasche. Notfalls – vorübergehend – auch nur mit einem Vers, den er aufs Papier schmiert.

„I made shoes for everyone, even for you, while I still go barefoot.“

Wenige seiner Zeitgenossen haben ähnlich weite Strecken zurückgelegt wie Jean Arthur Nicolas Rimbaud, der Weltreisende auf der Flucht vor dem Stillstand – und zeitlebens im Angesicht der übermächtigen Mutter.

„Oh where have you been, my blueeyed son? Oh where have you been, my darling young one?“

Aus dem Jahr 1964 ist mir ein Familienfoto erhalten geblieben: Es zeigt meine Lieblingstante Gretl, die ihren vierjährigen Neffen in Schlips und Anzug an ihrer Seite mit einem Lächeln aufzumuntern versucht.
Ich bin hart geblieben damals, fixierte die Kamera mit meinem unerbittlichen Blick, schließlich hatte ich mich vorher schon demonstrativ aus der Hochzeitskutsche fallen lassen. Warum? Ich weiß es bis heute nicht. Ich habe aber eine leise Ahnung, meine Mutter könnte es mir heute vielleicht verraten, wäre sie nicht bereits 1997 gestorben.

1973 höre ich zum ersten Mal den Namen „Bob Dylan“. Richard, ein Freund meiner Schwester, der mich einmal pro Woche auf der Gitarre unterrichtet, hat mir bereits die zwei Akkorde zu „He’s Got the Whole World“ auf der Wandergitarre meines Vaters beigebracht; diese Gitarre bekam mein Vater von seiner Mutter, meiner „Memminger Oma“, die wie mein Vater aus Tirol stammte, zum 40. Geburtstag geschenkt. Er hat sie nie in Gebrauch genommen.
Willst du vielleicht „Blowin’ in the Wind“ lernen, fragt Richard mich. Ich habe dieses Lied nie gehört, sage ich ihm, und weil mein Gitarrenlehrer mich ungläubig fragt, ob das mein Ernst sei, komme ich mir entsetzlich dumm vor, lasse mir den dritten Akkord zeigen, der mir zur Begleitung noch fehlt und lerne fleißig den Text auswendig. Und fahre sofort am nächsten Tag allein mit dem Bus in die Stadt, um mir eine Schallplatte von Bob Dylan zu kaufen.
Die kommenden Tage bis zur nächsten Gitarrenstunde höre ich „Bob Dylans Greatest Hits“ rauf und runter. So gut wie kein Wort verstehe ich von dem, was dieser Bob Dylan mir da singt, aber seine Stimme bringt mich nicht mehr vom Plattenspieler und meiner Gitarre weg. Ich versuche meist nur, seine Laute zu imitieren, die mir seltsam vertraut und zugleich geheimnisvoll erscheinen. Innerhalb kürzester Zeit investiere ich all mein Taschengeld zur Anschaffung sämtlicher bereits veröffentlichter Alben, um dieses merkwürdig verständnisvolle Gespräch weiterzuführen.
Es dauert ein Jahr, bis ich selbst mein erstes Lied schreibe. Bis dahin kann ich den Großteil seiner Songs schon auswendig, Richard studiert mittlerweile in Tübingen Theologie, und ich habe mir durch intensives Lauschen alle erforderlichen Akkorde und Techniken von den Platten und aus Songbooks allein erarbeitet. Meine schulischen Leistungen kann man schon kaum noch als solche bezeichnen. Hilflos beargwöhnen Mutter und Vater mich.
1976 ziehen wir aus dem Schwäbischen ins Rhein-Main-Gebiet. Ich gebe eine Abschiedsparty und verliebe mich an diesem Abend, weiß aber noch nicht in wen. Gleich vier Mädchen aus meiner Klasse gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Aber die eine, Ramona, schickt einen Brief, der mir plötzlich klar macht, dass sie es wohl ist, der ich in Gedanken nachhänge, sobald ich mittags aus der Schule komme und mir die Kopfhörer aufsetze. Und natürlich ist die Gitarre, die ich mir mittlerweile von meinem Konfirmationsgeld gekauft habe, mein bester Freund und ständiger Begleiter. „Song to Ramona“ spiele ich so lange bis mir klar wird, dass ich nicht Bob Dylan bin und Ramona eben nur eine Namensvetterin der von Dylan Besungenen ist. Und da gelingt mir auf einmal der erste Song auf Deutsch.

"Ich zog mir meine Stiefel an, verlor die Augenblicke ganz und gar, und als ich mich besann, ja, da war schon alles nicht mehr wahr."

1977 stehe ich das erste Mal mit diesem Lied, gemeinsam mit meinem Freund Thommy und mit Dylansongs auf der Bühne. Seitdem, und vor allem nachdem ich von der Rolling-Thunder-Revue sowie die Aufnahmen von „Hard Rain“ nahezu in Dauerschleife gehört habe, wird der Wunsch nach einer beruflichen Ausweitung meiner großen Leidenschaft immer stärker.
Und von Rimbaud habe ich mir mittlerweile eine Reclam-Ausgabe der „Zeit in der Hölle“ gekauft. Nur von den „Briefen des Sehers“ weiß ich noch nichts.

„Ich ist ein anderer.“ *

„I and I in creation of ones nature neither honours nor forgives.”

Es gelingt mir nicht, und ich weiß auch noch gar nicht, wie ich das in Worte fassen sollte, also scheitere ich bereits früh an der Versinnlichung sämtlicher Dinge.

1978 schafft es der Konzertmanager Fritz Rau, Bob Dylan erstmals für eine Reihe Konzerte nach Deutschland zu holen.
Zu fünft brechen wir auf, fahren einen Tag vorher bereits mit einem geliehenen Zelt im Auto aufs Zeppelinfeld nach Nürnberg. Dass dieser Ort ein historischer ist, wissen wir nicht, bekommen aber nach Einbruch der Nacht sehr bald schon eine Ahnung davon: Wir besichtigen im Dunkeln dieses Gelände und beschließen spontan, dort nicht länger bleiben zu wollen und stattdessen das Hotel aufzusuchen, in dem, wie wir erfahren haben, Bob Dylan und Eric Clapton untergebracht sind.
In der Lobby des Hotels sitzen wir die ganze Nacht, lassen uns von diversen Musikern, die am nächsten Tag auf dem Festival auftreten werden, Autogramme geben und fragen „by the way: where is Bob?“ Als ich ein Gespräch zwischen Fritz Rau und einer Amerikanerin belausche, die offenbar zu Dylans Management gehört, schnappe ich seine Zimmernummer auf, verlasse die Lobby und suche nach der nächsten Telefonzelle. Ich rufe in der Rezeption des Hotels an und verlange im breitesten Amerikanisch, das mir möglich ist, „room four-o-four please“. Man stellt mich durch, nach einem zweimaligen Tuten hebt jemand ab, hängt aber gleich wieder ein.
Als ich die Telefonzelle verlasse, sehe ich am Fenster schemenhaft eine Gestalt, die durch die Gardinen einen kurzen Blick auf die Straße riskiert.
Nach dem Konzert am nächsten Tag brechen wir ein zweites Mal auf, schaffen es aber nicht, das Gelände zu verlassen. Ohne Schlaf und nach siebzehn Stunden im Schneidersitz gehorcht mir mein Körper nicht mehr. Ich bin nicht mehr in der Lage, mein Auto zu steuern.

Am Montag nach dem mit 80.000 Besuchern bis dahin größten Festival auf deutschem Boden, berichtet mir meine Freundin Doris, dass Clapton und Dylan in dieser Nacht eine Session in der Hotellobby abgehalten haben.
Und meine Mutter erzählt mir, an welchem Ort ich gewesen bin: auf dem Gelände, wo einst Hitler seinen Reichsparteitag zelebrieren ließ. Meine Mutter, Tochter eines überzeugten Nationalsozialisten der ersten Stunde, war vom Vater dabei erwischt worden, wie sie heimlich zum Kommunionunterricht ging. Es prasselten zunächst unerbittliche Schläge auf ihren achtjährigen Hintern, am nächsten Tag versprach der Vater ihr, bald mit ihm zum Reichsparteitag nach Nürnberg fahren zu dürfen. Dieses Versprechen blieb er ihr aber bis zu seinem Verschwinden in Oberitalien 1944 schuldig.

Zahlreiche Dylan-Konzerte sollten folgen, er kam im Laufe der Jahre so gut wie regelmäßig nach Deutschland, und ich ließ kaum eine Gelegenheit aus, mir anzuhören, wie er seine Songs von Mal zu Mal veränderte.

Meine Eltern trennten sich 1978, mein Vater ging beruflich nach Berlin, meine Mutter zog sich allein in unser zweites Zuhause in Tirol zurück. Ich brach die Schule ab, zog allein von Frankfurt nach Düsseldorf, um dort eine Lehre als Verlagskaufmann zu beginnen, weil die Familie meiner Freundin ins Münsterland umziehen musste.

„If today was not an endless highway, and if tonight was not a crooked trail, and if tomorrow wasn’t such a long time, then lonesome would mean nothing to me at all.
Yes and only if my own true love was waiting, and if I could hear her heart so softly pounding, yes and only if she was lying by me, then I’d lie in my bed once again.”

Wenigstens meiner Freundin wollte ich einigermaßen nah sein, zog aber schon nach eineinhalb Jahren wieder allein zurück, weil ich da nicht wieder heimisch werden konnte, wo ich meine Kindheit verbracht hatte. Aus meiner Liebe war eine schmerzhafte Abhängigkeit geworden, sie zerbrach. Und ich ertrug die Depressionen meiner mittlerweile aus Tirol zurückgekehrten Mutter nicht mehr, die immer mehr unter der Trennung von meinem Vater litt.

"Die schwarze Frau war wieder da,
sie ging vorbei und ich blieb stehen,
und sie verschwand so wie sie kam,
ich schau ihr nach und kann nicht weitergehen."


Ich schmiss die Lehre, zog wieder zurück ins Rhein-Main-Gebiet, wo eine neue Liebe auf mich zu warten schien und begann eine Lehre als Buchhändler.
In dieser Zeit begann ich häufig in Kneipen und Klubs zu spielen, erst allein, dann in verschiedenen Bands als Sänger und Mundharmonikaspieler. Mit meinem Partner Bernd war ich drei Jahre im Duo mit unseren „Songs & Liedern“ unterwegs. Neben eigenen Liedern spielten wir immer auch zahlreiche Dylansongs.
Mit regelmäßigen Auftritten in den Musikkneipen Frankfurts und gelegentlichem Taxifahren hielten wir uns über Wasser und unsere träumenden Köpfe in den Wolken, bis die Neue Deutsche Welle uns von den Bühnen der Musikklubs spülte.

„One more cup of coffee for the road, one more cup of coffee before I go to the valley below.“

Bernd floh mit seiner neuen Liebe in die Vereinigten Staaten. Und ich dockte 1984 auf Veranlassung meiner Mutter im väterlichen Verlag an. Mit der Musik war es bald schon vorbei. Eine Zeit lang sang ich mir mit wundem Herz noch die Kehle in einer Bluesband heiser, dann sorgte eine neue unglückliche Liebe für mein dortiges Ausscheiden. Und auch meine eigenen Songs fanden den Weg nicht mehr zu mir. Ein vermeintlich letzter Song entstand, dessen Refrain mir später erst deutlich machen sollte, dass ich mir mein Verstummen selbst eingehandelt hatte.

"Du warst die Königin in mir, du hieltst mein Herz in deiner Hand, hast jedes Wort und jedes Bild und jeden Reim in mir verbrannt."

Ich schrieb nur noch verstörende Träume, für die ich mich schämte, in mein Tagebuch – Songs konnten daraus nicht entstehen.

Es war 1988, drei Jahre nach dem Tod meines Vaters: Ich war mittlerweile überschuldeter Mitinhaber einer Buchhandlung in Hanau, der Erb Verlag stand kurz vor der Auflösung durch Konkurs und wurde von meiner Mutter und meiner Schwester notdürftig aufrechterhalten.
Ich besuchte meine Freunde in den USA und hatte dadurch die Gelegenheit, Dylan live in Portland, Oregon zu erleben. An dieses Konzert konnte ich mich später allerdings kaum erinnern, weil ich an diesem Tag von Frankfurt über New York und Cincinatti angereist und aufgrund dieses langen Trips bereits 37 Stunden ohne Schlaf gewesen war, als Dylan in Portland die Bühne betrat. Mike knuffte mich immer wieder in die Rippen, wenn mein Kopf mir auf die Brust sank.
Nach meiner Rückkehr verschaffte mir aber ein Mainzer Freund, der eifrig Dylan-Bootlegs sammelte und streng archivierte, die Aufnahme dieses Konzerts, und so konnte ich schließlich doch noch bewusst hören, was ich hauptsächlich verschlafen hatte. Die Kassette ist mit der Zeit wie all die zahlreichen anderen Raubkopien irgendwo verschüttgegangen. Ich weiß nicht einmal, ob ich sie mir je mehr als ein Mal angehört habe. Und Jürgen aus Mainz habe ich vor Jahren schon aus den Augen verloren. Ich traf ihn nicht einmal mehr auf späteren Dylan-Konzerten.
Während dieses USA-Trips schrieb ich dann plötzlich einen Song, der wieder einmal für viele Jahre mein letzter bleiben sollte. Ein Liebeslied an die Frau, in die ich mich erst kurz vor meiner Abreise aus Deutschland verliebt hatte, und mit der ich nach meiner Rückkehr dann ein ganz anderes Leben anfing. Ich begann als Verlagsvertreter zu reisen, besuchte Buchhandlungen und verkaufte meist Bücher, die ich nicht lesen wollte. Gemeinsam mit ihr erlebte ich ein Dylan-Konzert in Offenbach – da planten wir gerade unsere Hochzeit. Ich erinnere mich, dass ich selbst dieses Konzert durchaus genossen habe, meiner Braut gefiel aber die offensichtlich stark alkoholisiert über die Bühne wankende Legende kaum. Jahre später sagte sie mir das einmal.
Wir zogen zusammen und kauften bald schon ein kleines Haus.
Als unsere Tochter unterwegs war, brachte mich ein Kollege meiner Frau, der mich zum Gitarrenkauf mitnahm, auf die Idee: Ich begann selber nach einer wirklich guten Gitarre Ausschau zu halten, jetzt, da ich es mir erstmals leisten konnte. In Marburg fand ich eine A&M, und nach Jahren der Abstinenz griff ich auf einmal wieder täglich in die Saiten, um zurück zu den Songs zu finden. Und wieder waren es Dylansongs, die ich als erstes auf dem neuen Instrument ausprobierte.

„You gave me babies, one, two, three, what is more, you saved my life, eye for eye and tooth for tooth, your love cuts like a knife.“

Ich musste aber auch nicht lange auf den nächsten eigenen Song warten.

"Dort wo die Sterne funkeln, dort wo die Zwerge munkeln, dort wo der Mond im Dunkeln lacht, ist dein Zuhaus.
Hier, wo du wohnst, ist immer für deinen Traum ein Zimmer, und deine Zimmertür ist immer für ihn auf.
Schlaf ein und träume leise, dein Traum geht auf die Reise, er schlüpft auf seine Weise leise aus dem Haus."

Mit diesem Song kündigte sich meine Tochter bei mir an. In der Nacht, als wir ins Krankenhaus aufbrachen, hing der fette gelbe Vollmond am Himmel. Die Hebamme wollte mich wieder nachhause schicken – ich blieb. Meine Tochter kam drei Stunden später.

Meinen Sohn begrüßte ich mit einem Lied, das mir mein Vater geschickt zu haben schien.

"Du bist Sohn von einem Sohn, wirst deiner Schwester Bruder sein, und solang es Menschen gibt, wirst du nie alleine sein.
Einen Stern schenkt dir der Mond für den Stein in meiner Hand, für den Staub an deinem Schuh such im Morgen dir ein Land."

Wir kauften ein größeres Haus und wurden uns ganz allmählich fremd – so fremd, dass es wehtat.

Das ist elf Jahre her.

„But I was so much older then, I’m younger than that now.“

Seit dieser Zeit habe ich zahlreiche Lieder geschrieben, mein Konzeptalbum veröffentlicht sowie eine Live-CD. Ich arbeite täglich an Songs, auch wenn sie sich manchmal nicht singen lassen. Dann gestalte ich aus den Songs Songgrafiken. Oder versuche Worte nur auf dem Papier klingen zu lassen. Hauptsache ich finde zurück zu mir und meiner Lebendigkeit.

Ich denke in Liedern. Aus den fremden Träumen, die mich damals verfolgten, ist ein Leben mit Worten, Bildern und Tönen geworden. Sie begleiten mich heute. Ein Leben ohne Songs & Lieder ist mir nicht mehr vorstellbar.
Kaum eine Lebenssituation, zu der mir nicht eine Zeile aus einem Dylansong einfällt. Oft ist mir eine davon hilfreich gewesen, den Dingen mit eigenem Blick zu begegnen, auch wenn ich mich immer wieder scheinbar nicht vom Fleck bewege.

„People don’t live or die, people just float.”

1980 brach ich zum ersten Mal ganz allein in die Fremde auf, fuhr nach Charleville-Mézieres, auf den Spuren Rimbauds. Ich fand aber damals noch nicht viel.
In mein Notizbuch schrieb ich damals lediglich einen Satz, der mir auf Französisch eingefallen war, als ich vor dem Grab gestanden und in mir nach irgendetwas gelauscht hatte, das dazu geeignet gewesen wäre, selbst von der Stelle zu kommen: „Il était trop tôt, je suis trop tard.“ Wenn ich mich recht erinnere, schrieb ich den Satz noch einmal auf einen kleinen Zettel und stopfte ihn in die Graberde. Dabei dachte ich an Rimbauds Knochenkrebs, an dem er, wie es heißt, zugrunde ging. Nicht fortlaufen zu können, nicht mehr unterwegs sein zu können, war am Ende wieder seine größte Qual.

„ Every nerve in my body is so vacant and numb.
I can’t even remember what it was I came here to get away from.”

Manchmal frage ich mich, wie mein Leben verlaufen wäre, hätte ich mich als Vierjähriger damals nicht in den Staub, sondern gleich unter die Hochzeitskutsche geworfen.
Welcher Song könnte mir wohl davon erzählen?
Ich weiß es nicht. Aber ich spüre eine leise Ahnung in mir.

“You know, it’s possible to become so defiled in this world that your own mother and father will abandon you. And if that happens, God will always believe in your own ability to mend your own ways.”

"Unterwegs solang ich denken kann und kein Steuer, das ich lenken kann. Und es sieht so aus, ja, es sieht so aus:
Unterwegs solang ich denken kann und kein Weg, den ich mir schenken kann, und es sieht so aus, als gäb es kein Zuhaus.
Und es sieht so aus, als sucht’ ich mir das ganz alleine aus."

---




Die in Anführungszeichen gesetzten Zitate englischer Sprache sind sämtlich dem schriftlichen und mündlichen Werk Bob Dylans entnommen.

* Zitat aus dem Seherbrief von Rimbaud

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Montag, 7. November 2011
"Von Türen, die nachts offenstehen"



Erzähl mir was

Erzähl mir was, dass ich schlafen kann,
erzähl mir was, bleib bei mir,
die Nacht ist so dunkel und alle sind weg,
komm, erzähl mir was von dir.

Erzähl mir von deinem letzten Traum,
erzähl mir, ich höre dir zu.
Ich hab vergessen, wie wichtig das ist,
wie wichtig, nur ich und du.

Wenn die Blätter jetzt fallen, komm näher zu mir,
ich brauch einen Halt diese Nacht.
Wenn du kannst, schlaf ruhig ein, ich werd bei dir sein,
ich lieg nur noch ein kleines Bisschen wach.

Und ich hör dir zu und erzähl dir was
von Zimmern in denen ich lag.
Und draußen im Garten, das Liebesgeschrei
der Katzen, und bald wird es Tag.

Ich erzähl dir von Häusern, in denen ich war
und von Türen, die nachts offen stehen,
und von seltenen Gästen, von Stimmengewirr,
von Gesichtern, die den Träumenden sehen.

Ich erzähl dir vom Berg, auf dessen Gipfel ich saß,
ganz alleine im Dämmerlicht
Und vom Glockengeläut, das vom Tal zu mir drang,
den Küster im Turm sah ich nicht.

Und das Läuten der Glocken, ich hör es noch immer,
es erzählt auf ganz eigene Art,
wie ein Wort, das geschrieben, nur im Tönen geblieben ,
ganz leis nur im Dämmern bewahrt.

Jetzt bin ich ganz müde, die Katzen sind still,
mein Atem geht ruhig und vielleicht
kann ich ja jetzt schlafen, weil ich bei dir sein will,
wenn dein nächster Traum mich erreicht.

Komm, erzähl mir was bis ich schlafen kann,
erzähl mir was von dir.
Die Nacht ist so dunkel, und alles ist still.
Komm erzähl mir was,
komm, erzähl mir was,
komm, erzähl mir was von mir.

Diesen Song hat Inge Frank in ihre Bildsprache umgesetzt: http://www.youtube.com/watch?v=pS015ehvadI

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Freitag, 4. November 2011
"Seltene Gäste" Künstleredition


Herzstücke aus der Werkstatt für Poetisches Handeln:

CD Jörg Erb, "Seltene Gäste - live"
Unikat No. 4 aus der Werkstatt für Poetisches Handeln, handgestaltet & signiert
Digipack aus schwarzem Naturkarton
4-seitiges Booklet
Gesamtspielzeit: 65:18
35,- €




CD Jörg Erb, "Seltene Gäste - live"
Unikat No. 5 aus der Werkstatt für Poetisches Handeln, handgestaltet & signiert
Digipack aus schwarzem Naturkarton
4-seitiges Booklet
Gesamtspielzeit: 65:18
35,- €

Hörprobe:

http://www.myspace.com/joergerb/music/songs/02-farben-foolsgarden-mp3-83879523

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Montag, 31. Oktober 2011
"In Deutschland, nach dem Krieg"



Der Laden des Schuhmachers

Partous deutet auf ein kleines Haus – die Werkstatt eines Schuhmachers –, das umgeben ist von Schutt, Schmutz und Scherben. Lauter zersplittertes Glas und zerdeppertes Geschirr.
Darüber humpeln und trampeln lauter Rotgesichtige einen grausig absurden Tanz. Sie drohen mit den Fäusten ins Leere – der Schuhmacher will ihnen die Tür nicht öffnen; er hört sie vielleicht nicht einmal mehr.

Die Rotgesichtigen tragen alle keine Schuhe, und als wir mit unserem Ballon etwas tiefer und also auch näher kommen, höre ich, wie sie den Schuhmacher verteufeln: "Wir sind barfuß, siehst du das nicht? Du hast uns die falschen Schuhe gemacht, sie drücken überall."
Als mir diese Gestalten schon beinahe zum Greifen nah erscheinen, entdecke ich zu ihren schrundigen Füßen schmutzige, nur mit Fetzen ihres letzten Hemdes bekleidete Kinder. Arme und Beine, auch ihre Hälse sind ganz dünn. Ihre Haut bleich, ihre Körper Gerippe; ihre Blicke sind trüb. Manche Gesichter erscheinen mir bekannt oder zumindest vertraut, und plötzlich meine ich, sie starren mich selbst an, als kämen wir ihnen zu nah, und als träfe mich jetzt ihr stumpfer Blick, um sich allein in mir zu verlieren.

Diese Kinder tragen Ketten um den Hals, durch diese Ketten sind sie mit den vernarbten Knöcheln der rotgesichtigen Eltern auf Schritt und Tritt verbunden.
Bei jedem ihrer verzweifelten Bewegungen schnüren die Erwachsenen den baumelnden Kindern die Luft ab. Die Genicke der Kinder drohen zu brechen.

Das, was ich sehe, treibt mir die Tränen in die Augen, und es schmerzt mich der notwendige Abschied, den mich Partous bereits spüren lässt. Ich schluchze noch, mein Gesicht in den Händen verborgen, weil ich nicht mehr hinsehen mag.
Da berührt mich Partous' Hand an der Schulter. Ich sehe ihn an, und er deutet noch einmal nach unten. Ich will einen letzten Blick auf die Werkstatt des Schusters werfen.

Ich sehe, wie sich die Ladentür öffnet. Ein Mann tritt heraus, eine Gitarre hängt über seiner Schulter. An den Füßen trägt er ein paar Stiefel. Mit jedem Schritt schiebt er sich selbst leichtfüßig durch den Schutt; so bahnt er sich allein entschlossen seinen Weg, und die zeternde Meute hält für einen kurzen Moment still.

Partous hält den Ballon jetzt an. Wir fahren nicht mehr, wir schweben lautlos über dem Geschehen.

Ich sehe, wie der gestiefelte Mann kurz innehält, um sich zu bücken: Er wühlt aus dem Schutt einen Hut hervor. Er klopft ihn ab, setzt ihn sich auf und beginnt im Gehen ein Lied zu spielen. Ich höre, was er singt: "I made shoes for everyone, even for you, while I still go barefoot..."

Partous bedeutet mir, dass es nun Zeit ist, sich wieder zu entfernen.
Wir steigen auf, höher und höher, und der Sommerrestabendwind trocknet mir die Tränen. Aber ich schluchze nicht mehr.
Und Partous singt mir das Scherbenlied.


Das Scherbenlied

Und wenn mein Fenster nur ein Spiegel wär,
ich hör ein Lied, das mir von Scherben singt,
wenn alles fehlt, dann bin ich menschenleer,
ich will Musik, die mich nachhause bringt,
ich hör ein Lied, das ich dir sing.


Ich sing von dir – komm her und finde mich,
ich sing für dich – komm und begegne mir,
komm, sing mit mir,
ich hör ein lied

Lasst uns doch einsam, zweisam und gemeinsam sein
Mensch unter Menschen, dabei freisam sein
Dass einer hört, was keiner spricht
Dass etwas ganz wird, spürst du’s nicht?
Weil es kaputt bleibt, heilst du’s nicht
Weil es nicht heilt, niemals heilt
Teilst du es nicht

Ich sing von dir – komm her und finde mich
Ich sing für dich – komm und begleite mich
Komm, sing mit mir
Hörst du dein Lied

Und wenn mein Spiegel nur ein Fenster wär
Ich hör ein Lied, das mir von Scherben singt
Wenn alles fehlt, dann bleib ich menschenleer
Ich will Musik, die uns nach Hause bringt
Ich hör ein Lied, das ich dir sing

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Samstag, 29. Oktober 2011
Mündlich überliefert


"Die Dämmerung fällt" - ein Lied, das aus der Bündischen Jugend kommt. Geschrieben von K.A. Christel, um 1930/31.

Die Nazis kamen, zerschlugen, was ihnen im Weg war und vereinnahmten die Reste. Früh fiel auch dieses Lied dem auswuchernden Terror zum Opfer.

K.A. Christel muss das in seinem Lied geahnt haben: "Wer weiß, wo der Wind uns morgen noch hinweht, wo keiner mehr mitgeht, der Bruder uns ist..."

1974 musste ich auf einer Schulfahrt beim Wandern auf Geheiß unseres ruppigen Musiklehrers in St. Peter-Ording in der prallen Sonne zu den Klängen seines Akkordeons marschieren - er nannte es Dünenwanderung -, bis ich mit einem Sonnenstich kollapsierte.
Dieses Lied aber verursachte mir damals schon eine Gänsehaut.

Lang vergessen hatte ich es schon, als es mir vor einigen Jahren dann plötzlich wieder einfiel. Und als ich es dann spielte - der Text war mir noch komplett im Gedächtnis erhalten geblieben -, wurde mir noch einmal klar, welche Kraft in Liedern steckt.

Auch dieses Lied hat überlebt.

Ich werde es am 9. und am 11. November in Hamburg und in Berlin erklingen lassen.

http://soundcloud.com/j-rgerb/die-d-mmerung-f-llt

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Montag, 29. August 2011
11.09.2001 - Twelveeleven



Der 11.09.2001 war ein Dienstag. Das hätte ich nicht gewusst, ohne das Datum vorher nachgeschlagen zu haben. Aber ich weiß auch nicht, welcher Wochentag der 09.11.1938 war. Oder der 08.05.1945.

An meinen vermeintlich ersten Gedanken beim Betrachten der Bilder auf der Mattscheibe kann ich mich aber noch erinnern: "Wem nützt das?"

Wir wollten wandern gehen – ich weiß nicht mehr, ob im Spessart oder im Odenwald? Aber ich erinnere mich daran, dass wir unseren Kurztrip um einen Tag verschoben haben und erst am nächsten Tag zum Wandern fuhren.
An diesem nächsten Tag, der also wahrscheinlich der 12.09.2001 und ein Mittwoch gewesen sein wird – beschwören wollte ich das nicht –, kaufte ich mir ein Paar sehr teure Wanderschuhe inklusive einem Paar Wandersocken.

In diesen Wandersocken und Wanderschuhen bin ich gelaufen, das weiß ich noch, aber nicht mehr wie lange wir liefen – eine kurze, eine weite Strecke? Ich habe noch ein Bild vor mir, das in meinem Gedächtnis gespeichert ist: Das Aushängeschild (eine Vitrine) eines Gasthofs, den wir, von der Höhe ins Tal hinabsteigend, vor Augen hatten und vor dem wir kurze Zeit später dann standen.
Ich weiß weder wie der Gasthof hieß, noch was wir uns von ihm versprochen hatten, aber wir kehrten dort ein, und ich meine, wir nahmen auf einer Terrasse Platz.

Dieses erinnerte Bild ist nicht klar sondern verschwommen und weich in mir abgespeichert. Könnte man mir ein Foto von dieser Erinnerung vorlegen, würde ich vermutlich behaupten, es wiedererkennen zu können.

Wir waren noch frisch aber schon schwer verliebt – ich glaube, nur diese Bezeichnung trifft unseren zweisamen Zustand damals genau. Ich erinnere aber keinen Kuss, keine Umarmung, kein Gefühl auf der Haut oder gar nacktere Emotionen.

Ich weiß nicht, wie oft wir die immer gleichen Bilder im Fernsehen betrachteten. Ich weiß nicht mehr, wie viel Zeit wir insgesamt vor dem Fernseher verbrachten und wie lange wir schließlich draußen beim Wandern waren.
Das Hotelzimmer war hässlich, das weiß ich noch. Ich erinnere mich aber an keine Fakten.

Ich vermute bis heute, im Gesichtsausdruck des damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika - als man ihn dabei filmte, wie er die Nachricht über den Anschlag zugeflüstert bekam -, keine Überraschung feststellen zu können.

Nie käme ich auf die Idee ausrechnen zu wollen, wie viele Kilometer ich in meinen blauen Wanderschuhen seit dem 12.09.2001 zurückgelegt habe – wie ungenau müsste eine solche Wahrscheinlichkeitsrechnung eines schon in der Schule gescheiterten Rechenkünstlers sein?
Das Exakte hat man mir nicht beibringen können, und den Wahrscheinlichkeitsrechnungen misstraue ich bis heute gern und am liebsten gründlich.

Was ich wahrnehme, beschäftigt mich aber dauerhaft.

Irgendwann im Mai – in welchem Jahr, weiß ich nicht mehr, da müsste ich nachschlagen –, ging ich nach einem heftigen Regenschauer meinen gewohnten Spazierweg. Ich weiß nicht mehr, ob ich schon mit oder noch ohne Hund unterwegs war.
Zum ersten Mal in diesem Jahr glaubte ich, der Sommer sei nun endlich gekommen. Ich roch das nasse aufgestapelte Holz, das jetzt von der Sonne beschienen seinen Duft verströmte. Ich ging plötzlich leichter, ich bewegte mich spürbar anders. Dieser Duft, dieses Licht, diese Farben – ich fühlte mich glücklich verliebt.
Und ich dachte an ein Paar Schuhe, das ich lange Zeit und über schwere Strecken an den Füßen getragen hatte.
Diese Schuhe besitze ich heute nicht mehr. Aber ich habe ihnen eine Zeile in einem Lied gewidmet, das ich häufig singe:

"Die Schwalbe, die den Sommer macht,
hat Wind und Regen mitgebracht,
und Duft von Holz, das Wasser saugt,
und Schuhwerk, das zum Schlendern taugt."

Wenn ich dieses Lied singe, assoziiere ich aber immer meine blauen Wanderschuhe, die ich nahezu täglich auf meinen Hundespaziergängen trage, bis heute.
Ich weiß aber nicht genau, ob mich dann nur das tausendfach ähnlich wahrgenommene und nun erinnerte Bild meiner blauen Schuhe begleitet, oder auch die mit den Schuhen verbundene Empfindung, wie es sich anfühlt, in ihnen gelaufen zu sein.

http://www.myspace.com/joergerb/music/songs/02-farben-foolsgarden-mp3-83879523

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Samstag, 18. Juni 2011
Mondlichtlied



Mondlichtlied

Mondlicht kommt, die Sonne geht
Etwas bleibt, wenn Mondwind weht
einer steht noch da und singt sein Lied

Alle schlafen, einer spricht
Mondlicht scheint dir ins Gesicht
Einer unterm Mond singt dir dein Lied

Unterm Mond, dem weichen Ball
wandern Schatten durch ihr Tal
bleiches Mondlicht scheint zum Fenster rein

Deine Lider schließen sich
Lied vom Mond, es findet dich
Unterm bleichen Mond von ganz allein

Kurze Tage, lange Nacht
Der Mond hat dir den Hof gemacht
Mondlichtlieder warten hier auf dich

Eine Stimme, ein Gesicht
Mondlichtkinder finden sich
Unterm gleichen Mond im gleichen Licht


---
für Blaze Foley (1948-89), dem ich nie begegnet bin, bis ich mich gestern in seine Songs und seine Stimme und das Erzählen seiner Gitarre verliebt habe. Danke, Wolf A., der sein Freund war und ihn mir vorgestellt hat.

http://www.youtube.com/watch?v=69YCXgVdyR4

http://www.youtube.com/watch?v=v7yoO1w-FyM&playnext=1&list=PL095B9650DAF83F80

http://www.youtube.com/watch?v=4tVPIvjf2dA&feature=related

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Mittwoch, 11. Mai 2011
Jörg Erb mit "Being Bob Dylan" in Wien



Liebe Freundin,

ich danke dir für deine Beschreibung vom „Kunstraum Ewigkeitsgasse“ - mein erster Gedanke dazu: Hätte es einen schöneren Raum für mein Vorhaben geben können?
Ich erinnere mich noch gut an die Bücher Frederic Mortons, die ich ja damals als Verlagsvertreter noch anbieten durfte, die "Ewigkeitsgasse" war da aber noch gar nicht erschienen.

Was mir nicht klar war, obwohl ich gern nach dem Dritten suche: Ich komme mit Dylan nach Wien und finde dort dann Morton und die Geschichte seines Hauses - wunderbar.
Diese Verbindung, die du da zu meiner Freude durch deine Vermittlung hergestellt hast, gibt mir jetzt die Möglichkeit, das entworfene Programm noch weiter aber auch dichter zu gestalten. Und Dichter werden ja immer dringender gebraucht.

Gestern fiel mir ein Bild ein: Dylans Werk, in das ich, seit ich mit 13 das erste Mal von ihm erfuhr, immer wieder auf die eine oder andere Art scheinbar unbewusst schlüpfe oder zufällig gerate, um dann an einer ganz anderen Stelle ganz überrascht wieder draus hervorzutauchen, erscheint mir wie ein großes leerstehendes Gebäude mit ungezählten Türen und Fenstern, durch die aus immer wieder wechselnden Richtungen Sonnen-, oder auch gerne Mondlicht eindringt, für einen plötzlich und kurzen, intensiven Moment, der dann tatsächlich oft zunächst körperlich spürbar wird ohne je an einem einzigen Gefühl kleben zu bleiben. Man muss sich nur immer wieder hineinbewegen wollen oder nicht gleich nach dem nächstliegenden Notausgang suchen wollen – dann spürt man nämlich gar nichts mehr, nicht einmal die eigenen Ängste, die einen fortan als eine, das Lebendige verhindernde Befürchtungshaltung durch Tage und Nächte begleiten.

Vielleicht ist es gar nicht Dylans persönliches Gemäuer, das ich da vor mir sehe, aber er hat mich dort erstmals hingeführt, und vermutlich hat er selber dieses Gebäude mit Woody Guthrie erstmals betreten. Ich glaube, nur wenige kennen sich in diesen Räumen so gut aus wie er. Ob man dort, in dieser Wohnung der Worte, Bilder & Töne tatsächlich dauerhaft leben kann? Vermutlich nicht, Dylan selbst und sein Werk geben offen darüber Auskunft. Aber gäbe es dieses Gebäude nicht, würde ich mich dauerhaft heimatlos fühlen – und das wirkt, wie ich aus Erfahrung weiß, spürlos anders.

So unterwegs – dieses Gebäude immer vorm geistigen Auge, die Versinnlichung aller Dinge als persönlichste Aufgabe begreifend – bleibe ich gern ein Suchender, wenn ich auch meist arg rast- und ruhelos erscheinen mag und die dann momentan wiedergefundene Herberge alles andere als Komfort zu bieten hat.

Wer Songs & Lieder, Worte, Bilder, Töne sucht, um lebendig bleiben zu dürfen, hält sich hier nur für die Dauer des erschöpfenden Findens auf, so lange, bis er endlich gestalten und verkörpern darf, was lose in ihm waberte – und bis es gelingen mag, für höchste Ungeduld sorgen kann.
Diese Herberge erscheint mir oft als eine Art „Gasthof zum bitteren Ende“. Aber ist das nicht nur eine wertende Bezeichnung für einen Ort, an dem einige wenige trotz alledem oder aus purer Not Obdach suchen?
Der Aufenthalt hier, in diesem Haus, in dem Gott und die Welt als wandelnde Schöpfer ein und aus gegangen sind, dauert selten länger als ein Lied, das dich zu erreichen suchte und in dir ein Zuhause fand.

„Being Bob Dylan“ – Jörg Erb mit Bob Dylan in Wien

Am 13.05.2011 ist Jörg Erb zu Gast im Radio bei "You can't eat applause for breakfast" - Bob Dylan zum 70. Geburtstag. Gestaltung: Helmut Jasbar auf Ö1 (ORF) um 23.05 Uhr – 2.00 Uhr.
http://oe1.orf.at/programm/274482

Am 14.05.2011 um 20 Uhr „Being Bob Dylan“ – eine Hommage zum 70. Geburtstag im KUNSTRAUM EWIGKEITSGASSE, Thelemangasse 6, 1170 Wien.
Jörg Erb spielt und singt Dylan-Songs, die er ins Deutsche verwandelt hat, seine Lieblingsstücke des großen Singersongwriter-Kollegen im englischen Original sowie Songs & Lieder, zu denen Bob Dylan ihn inspiriert hat.

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Montag, 21. Februar 2011
Lullaby


Where the stars leave a spark
Where the gnomes are planting rumour
Where the moon is smiling only at the lonely roomer
in the park

Here’s a room for the quiet
For your dreams to run riot
And it seems that the dreams of a griot
let you hark

Fall asleep – you will revel
Sleep is deep – your dream will travel
For travelling is a-revelling
and the schemer is a dreamer in the dark

http://www.myspace.com/128139755/music/songs/Schlaflied-Live-Ausschnitt-66085232

http://www.fixpoetry.com/autorenbuch/joerg_erb.html

Neue Bilder in der Galerie: http://joergerb-shop.fineartprint.de

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Sonntag, 20. Februar 2011
Es sieht so aus



Es sieht so aus

Hin und her von früh bis spät
Kreuz und quer durch jedes Beet
Und es sieht so aus, als wollt ich nicht nachhaus

Selten Rast und keine Ruh
Niemand da, die Tür fällt zu
Und es sieht so aus, als sei ich nie zuhaus

Fremdenzimmer, menschenleer
Stumme Nachbarn um mich her
Und es sieht so aus, als seien die hier zuhaus

Unterwegs solang ich denken kann
Und kein Steuer, das ich lenken kann
Und es sieht so aus….

Unterwegs solang ich denken kann
Und kein Weg, den ich mir schenken kann
Und es sieht so aus, als gäb es kein Zuhaus
Und es sieht so aus, als sucht ich mir das ganz alleine aus.

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