Donnerstag, 27. Januar 2011
Nachgerufen



Der Erste war nur immer zweiter,
der Zweite ging nur einfach mit,
der Dritte ging noch etwas weiter
und brachte neun noch Weitere mit.
Das Meer der stumpfen Farben,
du kennst es nur schwarzweiß,
die vielen dumpfen Töne,
die pochen immer noch ganz leis.
Wer laut war, wurde leiser,
jetzt sind sie fast schon stumm,
doch ihre Stimmen blieben heiser,
die kippten so oft um.

Und du drehst dich um.
Und du fragst: warum?
Und du willst irgendwann
einfach wissen.

Sie sagen:
Erstens: Dort war ja nicht da.
Zweitens: ist ja so nicht wahr.
Drittens: war uns doch nicht klar.
Viertens: waren doch andre da.
Fünftens: war nicht alles schlecht.
Sechstens: Damals war das Recht.
Siebtens: Ich tat niemals einen Schuss.
Achtens: Weißt du, irgendwann ist Schluss.

Und du rufst: warum?
Doch sie bleiben stumm,
und du willst immer noch endlich wissen.

Sagt mir:
Wer hat wo gewohnt, wer hat wen wie belohnt?
Wer hat wen wie bezahlt für welche Taten?
Wo habt ihr denn mitgemacht, oder habt ihr nur mitgelacht?
Wer hat wen denunziert und verraten?
Wer hat uns das angetan? War das wirklich nur der nebenan?
Habt ihr euch wegen dem schämen müssen?
Was habt ihr denn gefühlt, mit eurem Schnaps weggespült?
Dürfen wir denn niemals wirklich wissen?

Ich will wissen, warum.
Dreht euch einmal noch um,
denn ich will unbedingt endlich wissen.
Sprecht doch jetzt, ganz zuletzt.
Dreht euch jetzt noch mal um,
denn ich will unbedingt endlich wissen.

Der Erste konnte nirgends sein,
Der Zweite schwört noch Stein und Bein,
den Dritten haben Schnaps und Bier endlich umgehauen.
Der Vierte flieht durchs weite Feld,
der Fünfte züchtet nur noch Geld,
der Sechste gibt den Held jetzt nur noch bei den Frauen.

Der Siebte segnet jetzt die Welt,
von anderer Heiligkeit umstellt.
Der Achte hat sich einen Baum gesucht
und Nacht für Nacht den Neunten heimgesucht.
Der zehnte prügelte für Gott,
der Elfte suchte sein Schafott,
den Zwölften findet man auf dem Friedhof nebenan.

Du hast nur schlecht geträumt,
keiner wusste warum,
und du willst irgendwann endlich wissen.
Keiner dreht sich mehr um
Und du drehst dich im Kreis,
und du weißt, du wirst nie wirklich wissen.

Sie haben so viel versäumt,
sie haben nur schlecht geträumt,
sie haben nachts still geschrien und geweint in die Kissen.

Doch du hörst ihr Warum,
das wird nie wieder stumm,
und du weißt, du wirst nie wirklich wissen.

Und du rufst ihnen nach:
Dreht euch einmal noch um,
denn du willst unbedingt endlich wissen.
Sprecht doch jetzt, ganz zuletzt,
dreht euch einmal noch um,
denn ich muss unbedingt endlich wissen

Warum?

http://www.myspace.com/joergerb/music/songs/Nachgerufen-live-67719802

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Tryptichon



Stillgestanden

Ich werde immer wieder zum Bunker geschickt
geschickt immer wieder
zuwiderer

Für zwei kommt das Urteil jetzt spät
plötzlich und unerwartet
lass ich euch stehen
und
eure in mir begangene Zeit
In meiner Gegend wart ihr die Einzigen noch
die Niemals und der Keiner

Beide – als alle für einen –
verwandt, verschwiegert, verschwunden

Das Stimmlos in Händen vom Selbstlos bestimmt
Niemand erinnert mehr Fremdes
als ich – als einer für alle


Als ich ging, ließ ich die Bunkertür offen. Kein Sirenengeheul, kein Zähnegeklapper drang mehr nach draußen. Kein letzter Hauch dieser abgestandenen Luft mehr mochte mich regen. Atemlos, wie ich hergekommen war, verließ ich die Gegend, die mir nie fremder war.
Mit jedem Schritt gewann ich Menschenland.
Der Wutwind pfiff mir Musik in die Ohren.
Ich konnte mein eigenes Wort verstehen:


mit jedem satz, den
du sprichst, brichst du
betretenes schweigen.

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Mittwoch, 26. Januar 2011
Im Gedächtnis der Welt



Geschickte Rede

Das ein oder andere Wort verriet heillos den fremden Zweck.
Haltlos versickerten sinnvolle Mittel.


...Nachdem ich den Sätzen ein auf den ersten Blick scheinbar beliebiges Bild voranstelle, will ich Bild und Wort mit Weiterem verlinken: mit dem Text meines Songs, der die Geschichte von Bredas Grab erzählt.

Was fehlt noch? Das, was ich ergänzend dazu geschrieben habe, am 08. Mai 2010, 65 Jahre nach Kriegsende, auf meiner Myspace-Seite.

Aber ich finde unter "bredas grab" noch etwas anderes: ein Verweis zu dem Spiegel-Artikel aus dem Jahr 1965. Hastig überfliege ich, was dort geschrieben steht. Ich wusste es! Nein, um genau zu sein: Ich hatte eine Ahnung, seit ich mit Susanne, den Kindern und dem Hund über die Autobahn rollte, 2006 in Richtung Texel. Dort las ich auf einem Autobahnschild "Breda" und machte mir bewusst, dass ich 1965 oder 1966 mit meinen Eltern und meiner Schwester an diesem Schild schon einmal vorbeigefahren sein musste.

Das Gedächtnis der Welt wächst auch im Internet weiter.
Und ich habe eine immer größere Ahnung davon, wer Breda war, auch wenn sich hinter diesem Namen ganz anderes verbirgt, wie ich jetzt weiß.

http://www.lyrikwelt.de/gedichte/erbjoergg1.htm

http://www.myspace.com/joergerb/blog/533995811

http://wissen.spiegel.de/wissen/image/show.html?did=46272695&aref=image036/2006/03/08/cqsp196521077-P2P-079.pdf&thumb=false

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right to hear - left to say



Der Bote

Das ganze Gewicht erst hält die Balance aus.
Halbherzigschwer taumelte mein Schritt.
Hören. Und sprechen.

für Noah


Noah Klieger, "Zwölf Brötchen zum Frühstück", Verlag wjs, EUR 14,90 ISBN 978-3-937989-68-6

http://www.bz-berlin.de/kultur/literatur/er-ueberlebte-das-kz-um-zu-erzaehlen-article1050964.html

http://www.j-zeit.de/archiv/artikel.605.html

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Haltbares an der Unhaltbar



Halbwahres wird oft im Wert unterschätzt.

Wer sich dem Halbwahren wertschöpfend annähern mag, entdeckt anderes mehr – Halbherziges, Fehlfarbiges, ein Schönfärber-Ei?
Und wenn es auch nur etwas Halbgares sei.

Das Halbgare ist zumindest noch nicht verkocht.

Und ein anderer Koch kann Halbgares weiter verwenden; er muss es nur zu Ende kochen. Vielleicht kann er es dann gar haltbar machen?

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Dienstag, 25. Januar 2011
Rheinsteigwanderer, kommst du an die Loreley





Dieses Haus sucht einen anderen Namen.

Wenn du einmal Urlaub machst, wo andere leben, frag die Leute, die in diesem Haus wohnen und arbeiten, welchen Namen es trägt, seit 1937. Lass sie ihn aussprechen, diesen falschen Namen.
Und zeig ihnen das Bild, das du hier entdeckt hast; führ ihnen diese Fratze vor, mit der dieses Haus auf den Rhein starren muss, so lange schon.

Frag sie, ob sie eine Idee haben, warum das Haus diese Fratze zeigt. Frag sie, ob sie es ertrügen, wenn sie selbst ein solches Gesicht tragen müssten.
Und frag, ob sie eine Idee haben, wie das Haus einen anderen Namen finden könnte, einen Namen, der dem Haus und den Menschen, die dort täglich ein und aus gehen, gerecht werden kann. Einen Namen, der an die Menschen erinnert, die hier lebten und sich versammelten, einen Vater, eine Mutter oder Oma und Opa entfernt.

Frag nach, ob sie wissen, was eine Synagoge ist. Frag nach, ob sie wissen, wo hier in der Nähe Synagogen waren. Frag sie, ob sie wissen, wer dieses Haus, von dem ihr sprecht, einmal hat bauen lassen.

Frag sie, welches Gefühl deine Frage bei ihnen ausgelöst hat und erzähl ihnen, ob es dir leicht oder schwer gefallen ist, deine Fragen zu stellen.
Stell deine Fragen so freundlich wie du kannst.

Frag sie, ob sie gern leben und ob sie sich lebendig fühlen. Frag sie, ob sie einschätzen können, wann ein Mensch sich lebendiger fühlt – mit vielen verschiedenen oder mit ganz wenigen Gefühlen. Frag sie, wann sie das letzte Mal geweint haben. Wenn sie dir nicht antworten können, frag sie, seit wann hier in Deutschland, in Rheinland-Pfalz, am Mittelrhein, an der Loreley, in St. Goarshausen Indianer leben. Sag ihnen, du hättest nicht gewusst, dass Winnetou wirklich und immer noch lebt; richte ihm auch einen Gruß aus von mir. Man kann ja nicht alles wissen, das ist nur zu menschlich.

Je nach dem, wie freundlich man dir begegnet – oft stößt der Freundliche auf einen Fremden, dem der Freundliche ganz befremdlich erscheint –, lass dich eine Weile nieder. Vielleicht magst du etwas trinken und essen und auch dort, wo man dir reinen Rheinwein einschenken will, einmal nachfragen.

Frag dann, ob sie wissen, wer Simon Hecht war. Frag sie, ob sie wissen, wo dieser Simon Hecht gewohnt hat. Frag sie, ob sie hier gern zuhause sind. Und frag sie, ob sie Herrn Hecht einmal in Amerika besucht haben. Frag sie nach seinen Kindern, Enkeln, Urenkeln. Frag, ob Herr Hecht ihnen vielleicht einmal eine Ansichtskarte geschickt hat, auf der er seine Ansicht zu den Zeichen der Zeit von 1937 dargelegt hat. Sag ihnen, ich hätte dir erzählt, in der Stadt sei behauptet worden, er habe die Zeichen der Zeit erkannt; deshalb sei er nach Amerika ausgewandert. Frag, ob jemand Herrn Hecht nachfahren wollte. Frag, warum die anderen geblieben sind; hatten die die Zeichen der Zeit nicht erkennen können? Frag, ob sie eine Idee haben, warum Herr Hecht wohl klüger war.

Je nach dem, wie es dir ergeht mit dem Fragen, und welche Antworten du bekommst, vielleicht findest du ein Häuschen, was dir gefällt, in dem du dir vorstellen kannst, dauerhaft zu leben.

Biete dann an, es zu kaufen. Biete ihnen, sagen wir: 5.000,- Euro an; so viel kostet eine sehr luxuriöse Schiffsreise nach Amerika, mit allem Schnickschnack, den man sich nur wünschen kann.

Wenn man nicht auf dein Angebot eingehen will, sprich von den Zeichen der Zeit und verhandle nicht.
Sag ihnen, überall täten sich jetzt Menschen zusammen, die anderes wollten. Menschen, die neugierig, wach und lebhaft lieber Fragen nachgehen als falsche Antworten zu verwalten. Menschen, die sich zuhause fühlen wollen, die da leben wollen, wo sie bislang nur leben mussten. Hier, wo andere Urlaub machen. Hier, wo damals Väter und Mütter, Opas und Omas, Onkels und Tanten von Kindern schwarzweißen Urlaub machen mussten, weil der, dessen Name das Haus gegenüber vom Bahnhof so lange schon tragen muss, tatsächlich glaubte, dass das eine Freude war, und dass daraus Kraft entstünde.
Wie gesagt, verhandle nicht. Sag ihnen aber, dass 5.000,- Euro noch zu viel sein könnten, wenn irgendwann keiner mehr kommt, weil niemand mehr fragt und keiner mehr weiß.

Sag ihnen, dass damals das Fragen verboten war. Frag sie, warum sie heute nicht fragen.

Sag ihnen, ich sei fortgezogen, wie so viele vor mir.

Sag ihnen, ich sei immer noch traurig. Sag ihnen, ich sei immer noch wütend. Sag ihnen, ich würde mich immer noch schämen. Sag ihnen, ich hätte immer noch Angst, bei gelegentlichen Besuchen in das Gesicht dieser Stadt blicken zu müssen.
Sag ihnen, ich würde mich freuen, wenn sie mich eines Tages einladen würden, weil sie den Namen endlich gefunden haben.

Und sag ihnen von mir, ich mochte die verwalteten Antworten nicht mehr verkraften.

Jörg Erb, Werkstatt für Poetisches Handeln:
Kleine Ausstellung "ST. Goarshausen"

http://joergerb-shop.fineartprint.de/index.php?PHPSESSID=b6ad51ff1ef1c87f8931a004f8ecc326&page=bildagentur.php&id=sis&sis_cat=24916

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